Immer wieder erinnert mich irgendetwas an eine Werbung, die bereits vor einem viertel Jahrhundert lief. Microsoft brachte gerade sein damals neues Betriebssystem Windows 95 an den Start, während IBMs damals viel fortschrittlicheres System OS/2 so vor sich hin dümpelte. Banken verwendeten es, hier und da war es zu sehen. Es wurde mit der Maus bedient, hatte einen Desktop und einen Papierkorb. Und Fenster. Microsoft hat es vom Markt verdrängt.
OS/2 war Windows 95 um Jahre voraus, allerdings machte auch IBM Fehler. Anfangs wurde es zusammen mit Microsoft entwickelt, die Zusammenarbeit endete Anfang der 1990er Jahre. Windows 95 war anfangs ein sehr aufwändiges System. Kaum eine Mausbewegung, die ohne Neustart übernommen wurde. Neustarts kannten die Windows-User. Und Bluescreens, den „BSOD – blue screen of death“, den Absturz des gesamten Systems.
Werbung ist alles
Microsoft hatte bis dahin den Vorgänger Windows 3.1 im Programm, als Windows 3.11 war es die Workgroup-Version zur Zusammenarbeit im Netzwerk. Als Windows 95 in den Startlöchern stand, fuhr Microsoft eine Werbekampagne auf, die auch heute noch eine gute Figur machen würde.
„Erforsche! Entdecke! Lerne! Mache! Organisiere! Verbinde! Verwalte! Spiele! Bewege!“ Kinder, ältere Menschen, Durchschnittsbürger, Geschäftsleute, alles war dabei. In einem der Werbespots kam MSN, das Microsoft Network zum Einsatz. Hier wurde jeder mit jedem verbunden. Auch das eine Technik, die seit einigen Jahren überall zu finden ist: Kundenbindung an das eigene Produkt, im MSN war man zu Hause. AOL kam dann auch schnell dazu, auch hier war man ganz einfach „drin“. Damals war das mit dem Internet noch etwas anders als heute. Die Anbieter versuchten, die Kunden im eigenen Umfeld zu halten.
IBM hatte ebenfalls eine neue Version seines OS/2 in der Pipeline, aber die Werbung, an die ich mich erinnere, hat mich damals schon gestört, obwohl ich mich seinerzeit erst sehr wenig mit Werbung beschäftigt habe.
IBM wollte OS/2 ebenfalls so darstellen, als wenn es für jeden handhabbar wäre, aber die Werbeagentur hätte ich verklagt, ganz ehrlich. Die Computer wurden recht professionell dargestellt, was ja nicht schlecht ist. Aber die Menschen hatten allesamt einen zu kleinen Kopf. Die Werbemacher haben die Körper in ihrer Größe überbetont und die Köpfe verkleinert.
Das sah im ersten Moment zwar witzig aus und sollte vermutlich darstellen, dass man kein Studium brauchte, um einen Computer und speziell OS/2 zu bedienen, aber ich habe mich dabei für dumm verkauft gefühlt. Das war nämlich die zweite Aussage darin, vermutlich nicht so gewollt: für OS/2 kannst, darfst – oder: musst? – Du dumm sein.
Vorsicht mit den Bildern
Du kannst die teuerste und beste Werbeagentur beauftragen oder Du lässt Dir selbst einfallen, wie Du wahrgenommen werden willst, es kann immer mal schiefgehen. Du solltest unbedingt überlegen, welche unterbewusste Nachricht Du eventuell mit transportierst.
Heutzutage ist es noch schwieriger. Die kleinste Unaufmerksamkeit bei der Reihenfolge ist sofort einen Shitstorm wert, bei dem Du plötzlich als Rassist dastehst. Völlig egal, wie Du das eigentlich gemeint hast. Oder als jemand, der Frauen in die zweite Reihe stellt. Oder als politisch oder religiös radikal. Das geht schneller, als Du gucken kannst. Hier ein Beispiel:
Volkswagen brachte eine Werbung, bei der ein schwarzer (oder muss es farbiger heißen? Nein, der war nicht bunt, sondern dunkelhäutig, maximal pigmentiert meinetwegen) durch eine weiße Hand bzw. durch einen Finger in der Gegend herumgeschubst wurde. Diese Handlung allein war schon ein Teil des Problems. Dann wurde zu allem Überfluss ein Schriftzug „Der neue Golf“ eingeblendet. Jedes Wort in einer Zeile.
Zuerst waren das R von „Der“, das erste E von „neue“ und das G von „Golf zu sehen. Danach kamen die Buchstaben E von „Der“ und das N von „neue“ dazu. Wie gesagt: verteilt auf drei Zeilen.
Man hätte aus diesen Buchstaben „Regen“ machen können. Oder „Gerne“. Auch „Green“ hätte funktioniert, im Zusammenhang mit der Umwelt nicht direkt abwegig. Aber es wurde als „Neger“ gelesen und das hatte Folgen. Die ganze Nummer mit der Buchstabensuppe war gerade einmal minimal länger als eine Sekunde. Im normalen Durchlauf war das fast nicht erkennbar, man musste es sich schon in Zeitlupe ansehen. Dafür sind Köpfe gerollt.
Wenn also Du der Meinung bist, die Werbung, die Du in die Welt bringen willst, sei gut, wenn sie Dir gefällt oder wenn sie Dir von Deinem Marketingpartner empfohlen wird, mache unbedingt folgenden Test:
- Was passiert, was sieht man, wenn man den Film in Zeitlupe (mindestens 0,25 oder langsamer) ablaufen lässt? Welcher Effekt entsteht beim Zeitraffer (ebenfalls mindestens 4-fach)?
- Achte auf Kleinigkeiten wie Menschen, Symbole, Farben und Schilder im Hintergrund, auch unscharfe Formen können ein Problem werden.
- Achte auf Geschlechtsneutralität und auf rassistische Auslegungsmöglichkeiten. Lass das gerne auch von unabhängigen anderen Personen bewerten, die nicht unbedingt Fachleute sein müssen. Oft erkennt der unbedarfte Empfänger Dinge, die jeder Werbefachmann aus seinem Fokus heraus übersieht.
- Achte auch auf geschriebenes oder gesprochenes Wort einschließlich Betonung.
- Bedenke, dass Ironie in der Werbung von vielen Menschen nicht verstanden Wird. Ein Witz oder ein Unterton wird Dir schneller negativ ausgelegt, als Du „Oops“ sagen kannst.
- Wenn es etwas an Deiner Werbung zu kritisieren geben könnte, wird sich jemand finden, der es der Bildzeitung sagt. Nicht immer sind große Aufmacher auf der Titelseite das, was Du gerade gebrauchen kannst.
Auch meine Internetseite und sogar dieser Post könnten mir grundsätzlich in einer Art und Weise ausgelegt werden, die ich so nicht gewollt und auch nicht bedacht habe. Schon allein der Umstand, dass ich nicht explizit und exzessiv die Gendersprache bemühe, wird mir eines Tages jemand derart verdrehen, dass ich am Ende als frauenfeindlich dastehe. Ein Risiko, das man kalkulieren muss. Ein weiteres Beispiel dazu:
Rassist, weil eine es will
Ein befreundeter Gastronom betreibt eine ehrwürdige Gaststätte, das Haupthaus steht unter Denkmalschutz. Es gibt Kaffee und Kuchen, ab mittags bis abends kann man dort essen und Feiern bis hin zu einigen hundert Personen sind kein Problem. Es gibt einen großen Biergarten, eine ebenso große Terrasse, eine Bratwurstbude, einen Eisstand, man kann um einen See herum spazieren gehen, Minigolf spielen, Ziegen und Gänse beobachten und hin und wieder gibt es große Veranstaltungen mit weit über 1000 Gästen.
Die Mitarbeiter des Gastwirtes haben alle bekannten Hautfarben und sprechen je nachdem, wo sie eingesetzt werden, nicht immer Deutsch als Hauptsprache. Und alle haben die gleichen Rechte und werden ordentlich bezahlt. Natürlich verdient das Personal in der Spülküche weniger, als die Kellner und Kellnerinnen am Gast, das ist nun mal so.
Zum Beispiel die Küchenmannschaft besteht schon seit Jahren aus einem Deutschen, einem Inder und einem Afrikaner, dessen genaues Herkunftsland ich nicht kenne. Ist mir auch egal, der Typ ist schwer in Ordnung.
2019 war das Jahr der Burka. Oder war es 2018? Ich weiß es nicht mehr genau. Es war die Zeit, als in allen Medien darüber diskutiert wurde, ob man mit Kopfbedeckungen, insbesondere mit verdeckten Gesichtern in öffentliche Gebäude, ob man als Lehrerin so arbeiten oder ob man so Auto fahren darf. Auch Gaststätten waren zumindest ein Nebenthema.
Mein befreundeter Gastwirt hat keinerlei Probleme mit Ausländern, egal woher, egal, welcher Religion, egal, ob als Flüchtling oder wie auch immer hierher gekommen. Wer gute Arbeit leistet, verdient gutes Geld. So einfach ist das.
Dann kam der Tag, an dem eine akzentfrei Deutsch sprechende Frau mit heller, also mitteleuropäischer Hautfarbe mit großem Trara das Gelände betrat und von vornherein auf Krawall gebürstet zu sein schien. Vom ersten Moment an machte sie sich bei den Angestellten des Restaurants unbeliebt, weil sie aus dem Stand heraus Forderungen stellte und provokativ mit ihrer Burka herummachte.
Jetzt darf man bedenken, dass kurz zuvor in Europa Vorfälle stattgefunden haben, bei denen verhüllte Menschen eine Hauptrolle spielten und bei denen andere Menschen zu Schaden kamen. Zu Deutsch: es gab Explosionen in Gaststätten.
Der Gastwirt verlangte von der Burkaträgerin, dass sie einmalig, um erkannt werden zu können, die Burka ablegen würde. Das hat sie verweigert. Daraufhin wurde sie des Grundstücks verwiesen, was nicht ganz ohne Aufhebens ablief.
Anschließend konnte man auf Facebook und in einer Lokalzeitung lesen, dass dieser Gastwirt doch wohl rassistisch wäre und Frauen und Religion nicht respektieren würde.
Es hat ihm nicht wirklich geschadet, weil es ein Einzelfall war und weil er viel zu bekannt ist, als dass das jemand ernsthaft geglaubt hätte. Nach allgemeiner Insider-Meinung war das ein expliziter Versuch mit der Absicht, eine solche Meldung generieren zu können.
Auch so etwas kann Dir passieren, online wie offline. Man wird Dich herausfordern. Rechne damit.
Angst sollst Du jetzt nicht haben, aber darauf vorbereitet zu sein, ist keine schlechte Idee.
Überlege Dir, wer Deine Zielgruppe ist und sprich diese Menschen zielgerichtet an. Mache auch deutlich, was bei Dir üblich ist und was Du nicht akzeptierst. Mache dabei keinen Unterschied nach Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität, Religion, körperlicher Unversehrtheit, Geisteszustand oder was auch immer. Wenn es um schnelles Rennen geht und jemand mit verdrehten Füßen will mitlaufen, lass ihn. Was, wenn er gewinnt? Weißt Du das vorher? Wenn jemand mit einem Rollstuhl mitmachen will, überlege, ob Deine Richtlinien das hergeben, denke aber nicht darüber nach, ob ein Rollstuhlfahrer nun rennen kann oder nicht. Er kann. Dass er dazu mit seinen Händen und Armen Räder in Bewegung setzen muss, ist in dem Moment sein Problem, nicht Deins. Wenn er damit klar kommt, lass ihn starten.
Wir sind alle…
Vor vielen Jahren war ein Spruch immer wieder an den verschiedensten Orten zu lesen: „Wir sind alle Ausländer. Fast überall.“ Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass das sogar als Deutscher innerhalb Deutschlands so ist. Mache gerne den Versuch und ziehe als Nordlicht nach Bayern, ganz besonders ans Herz legen kann ich Dir da kleinere Orte im Fränkischen. In Baden-Württemberg funktioniert das genauso gut. Umgekehrt als jemand, der unterhalb der Weißwurschtgrenze aufgewachsen ist, versuche Dich gerne mal im Ruhrgebiet oder da, wo man sich mit „Moin“ begrüßt. Das Problem siehst Du nicht, wenn Du Dich in großen Städten bewegst, die ohnehin einigermaßen international oder zumindest mal sehr offen aufgestellt sind. Sobald Du aber dorthin gehst, wo das Land und die Leute noch ursprünglich sind, wirst Du zwar integriert, aber es kommt der Tag, an dem Dir Deine Herkunft wieder um die Ohren gehauen wird. Egal, wie Deutsch Du eigentlich bist.
Formuliere Deine Ziele neutral, benenne Deine Zielgruppe neutral, entwickle Deine Produkte neutral. Und wenn Dir doch mal was um die Ohren fliegt, mache vor allem einen Fehler nicht: reagiere auf keinen Fall sofort und aus dem Bauch heraus. Vertritt Deine Meinung, aber vermeide emotionale Ausbrüche, wie wir sie derzeit von einem mächtigen Mann aus Übersee kennen.
Stay focused!
Jörg